Übersetzen - stehen lassen?
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Feb 18, 2004

Unmittelbarer Anlass ist die Frage, ob man den Begriff "chairman of the board" in der Übesetzung E->D stehen lässt oder mit "Vorsitzender des Verwaltungsrats" übersetzt, notfalls mit einer Erläuterung in Klammern.
Ich garantiere, dass mir der Chairman of the Board, der sich bei einer grossen deutschen Gesellschaft selbstverständlich so und nicht anders nennen lässt, mir die Übersetzung links und rechts um die Ohren haut, wenn ich ihm das deutsche Sprachungetüm "verwaltungsratsvors
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Unmittelbarer Anlass ist die Frage, ob man den Begriff "chairman of the board" in der Übesetzung E->D stehen lässt oder mit "Vorsitzender des Verwaltungsrats" übersetzt, notfalls mit einer Erläuterung in Klammern.
Ich garantiere, dass mir der Chairman of the Board, der sich bei einer grossen deutschen Gesellschaft selbstverständlich so und nicht anders nennen lässt, mir die Übersetzung links und rechts um die Ohren haut, wenn ich ihm das deutsche Sprachungetüm "verwaltungsratsvorsitzender" serviere.
Viele KudoZianer meckern jedoch, wenn ich rate, einen Begriff in der Ausgangssprache stehen zu lassen.
Daher einige grundsätzliche Fragen:
Oft wollen Auftraggeber keine Übersetzung von angloamerikanischen Begriffen. Der Übersetzer blamiert sich bestenfalls.
Die Gründe werden nicht genannt, wer Zweifel hat, sehe sich doch einmal die Home-Pages im Internet von deutschen Gesellschaften an.
(meine Vermutungen: deutsche Begriffe sind plump und sperrig, englische eher schlank und vielseitig brauchbar, da wenig präzise; Englisch ist die Sprache der Modernisierung. Zwar müssen wir nicht die Sprache der Vormacht erlernen, wie die Anrainer des Mittelmeeres unter den Römern, aber wir müssen natürlich Konzessionen machen. Englisch ist in Mode, auch der deutsche Hersteller oder Händler drückt sich gegenüber dem deutschen Konsumenten überwiegend auf englisch aus, vgl. Telekom. Englisch gilt als chic, so wie früher Französisch. Filmtitel werden nicht mehr übesetzt, auch wenn kein Kinogänger mehr weiss, was der Titel bedeutet.
Klar ist, dass mit Innovationen aus dem englischsprachigen Raum (also den USA) die Worte den eingeführten Gegenständen und Verfahrensweisen folgen (Computer usw., wobei allerdings zu beachten wäre, dass Frankreich - in einem gewaltigen Kraftakt - die Worte logiciel für software und ordinateur für computer durchgeesetzt hat mit Wirkung bis nach Nordafrika), so wie schon seit eh und je die Sprache den Importprodukten gefolgt ist; woher hätten die westeuropäischen Völke denn sonst Worte für die Phänomene Pferd, Rad, Wagen usw. nehmen sollen, die aus der Steppe kamen - Pferd, caballus, equus - alles Fremdworte.
Nur geht jetzt alles viel schneller und überfordert manche.
Dann der Lebensstil: also nicht nur Hot-Dog, sondern Wellness und dergleichen. Übersetzungen sind hier ausdrücklich nicht erwünscht.
Ist es nun Aufgabe der Übersetzer, den Auftraggeber darüber zu belehren, dass man auch deutsche Ausdrücke finden, benutzen, prägen könnte? Meistens wohl nicht.

Inkompatible Institutionen:
Beispiel "chairman of the board", der "Board of Directors" ist weder mit dem Vorstand noch mit dem Aufsichtsrat gleichzusetzen, kann also nicht übersetzt werden, Romain empfiehlt "Verwaltungsratsvorsitzender", aber in der Schweiz ist der Verwaltungsrat wieder etwas anderes. Das Wirschaftswörterbuch von Schäfer empfiehlt die Beibehaltung der englischen Schreibweise. Warum: weil es keine Entsprechung der Institution gibt.
Der Sinn des Ganzen: ich möchte gern Grundsätze dafür aufstellen, wann Ausdrücke zu übersetzen sind un wann nicht.
Bisher ist mir nur soviel klar: um jeden Preis übersetzen (weil wir deutsch sprechen) kann nicht richtig sein, es schallt mir aber überall entgegen.
Dass ich Faulheit und Feigheit beim Übersetzen verachte (warum musste zum Beispiel die Übersetzung DNS für Desoxyribonukleinisäure für DNA aufgegeben werden, also Säure für acid?, "job" für Beruf, Arbeitsstelle usw.), möchte ich hier nicht weiter ausbauen. Aber ich möchte auch nicht immer hören: "ja, doch, bitte übesetzen", wenn es nicht angebracht ist.
Das sind noch sehr ungeordnete Gedanken, die zu Kommentaren anregen sollen.
Vielleicht gibt's auch schon was in Buchform, das ich nicht kenne, für jeden Hinweis bin ich dankbar.
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Ralf Lemster
Ralf Lemster  Identity Verified
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Chairman, Directors, etc. Feb 18, 2004

Hallo Ingo,
was die Nichtübersetzung von Funktionsbezeichnungen angeht, die aufgrund einer unterschiedlichen Unternehmensverfassung kein Pendant in der Zielsprache haben, gebe ich dir durchaus Recht - nur kann ich nicht nachvollziehen, dass bei solchen Fragen immer auf Übersetzung plädiert wird. Das war zwar kürzlich der Fall, aber es gibt durchaus eine Menge Antworten (wie z.B. kürzlich der Fall, aber es gibt durchaus eine Menge Antworten (wie z.B. dieses ältere Exemplar. Wenn du im Glossar mal nach Begriffen wie CEO, CFO, CIO etc. suchst, wirst du meist ein Plädoyer für's "stehen lassen" finden.

Gruß Ralf
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Hans G. Liepert
Hans G. Liepert  Identity Verified
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In memoriam
Verwaltungsrat Feb 18, 2004

ingo_h wrote:

Inkompatible Institutionen:
Beispiel \"chairman of the board\", der \"Board of Directors\" ist weder mit dem Vorstand noch mit dem Aufsichtsrat gleichzusetzen, kann also nicht übersetzt werden, Romain empfiehlt \"Verwaltungsratsvorsitzender\", aber in der Schweiz ist der Verwaltungsrat wieder etwas anderes.


Ich darf Dir versichern, das der Verwaltungsrat in der Schweiz dem Board ziemlich genau entspricht [Gesetz: \"Der Verwaltungsrat ist das gesetzliche Geschäftsführungsorgan der AG\"] Er hat Überwachungs- und Kontrollfunktion und kann seine Tätigkeit als Geschäftsführungsorgan an Direktoren oder VR-Mitglieder delegieren.

Eine einfache Antwort auf Dein Problem gibt es nicht, weil es keine Standardkunden gibt: jeder Kunde hat seine Vorlieben und Spinnereien - beim Auto willst Du doch auch die Farbe, die Ausstattung usw. bestimmen, selbst wenn es im Preis keinen Unterschied macht.


 
ingo_h
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Inkompatible Institutionen? Feb 19, 2004

Hans Liepert wrote:

ingo_h wrote:

Inkompatible Institutionen:
Beispiel "chairman of the board", der "Board of Directors" ist weder mit dem Vorstand noch mit dem Aufsichtsrat gleichzusetzen, kann also nicht übersetzt werden, Romain empfiehlt "Verwaltungsratsvorsitzender", aber in der Schweiz ist der Verwaltungsrat wieder etwas anderes.


Ich darf Dir versichern, das der Verwaltungsrat in der Schweiz dem Board ziemlich genau entspricht [Gesetz: "Der Verwaltungsrat ist das gesetzliche Geschäftsführungsorgan der AG"] Er hat Überwachungs- und Kontrollfunktion und kann seine Tätigkeit als Geschäftsführungsorgan an Direktoren oder VR-Mitglieder delegieren.

Eine einfache Antwort auf Dein Problem gibt es nicht, weil es keine Standardkunden gibt: jeder Kunde hat seine Vorlieben und Spinnereien - beim Auto willst Du doch auch die Farbe, die Ausstattung usw. bestimmen, selbst wenn es im Preis keinen Unterschied macht.

Danke Hans, wieder was gelernt als Nichtschweizer!
Allerdings sollte dieser Ausdruck nur der Aufhänger für ein generelles Problem sein, offenbar ein untauglicher Versuch meinerseits.
Mein Gedanke war, möglichst allgemeine Grundsätze für die Frage Übersetzen oder stehen lassen zu formuleiren.
Jetzt, bei Tageslicht und ernüchtert, würde ich sagen, man kann es nicht allgemein formulieren. Projekt in der Wiege erwürgt!
Vielleicht denke ich's noch mal durch und formuliere meine Ideen etwas besser.
Danke erst mal!
Ingo


 
ingo_h
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Übersetzen - stehen lassen? Feb 19, 2004

Ralf Lemster wrote:

Hallo Ingo,
was die Nichtübersetzung von Funktionsbezeichnungen angeht, die aufgrund einer unterschiedlichen Unternehmensverfassung kein Pendant in der Zielsprache haben, gebe ich dir durchaus Recht - nur kann ich nicht nachvollziehen, dass bei solchen Fragen immer auf Übersetzung plädiert wird. Das war zwar kürzlich der Fall, aber es gibt durchaus eine Menge Antworten (wie z.B. dieses ältere Exemplar. Wenn du im Glossar mal nach Begriffen wie CEO, CFO, CIO etc. suchst, wirst du meist ein Plädoyer für's "stehen lassen" finden.

Gruß Ralf


Danke Ralf, erst mal, vor allem auch für die Hinweise auf das Glossar. Der "director of the board" sollt eigentlich nur ein Aufhänger für etwas zu sein, das mir ein allgemeines Problem zu sein schien. Nun scheint das Problem zumindest im Wirtschaftsenglisch so nicht zu existieren.
Ich werde mal in mich gehen und die Fragestellung, die viel zu allgemein war, für ein engeres Fachgebiet (z.B. amerikanische Gerichtsorganisation, Begriffe des common law usw.) gelegentlich neu formulieren.
Gruß Ingo


 


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